Karate & Geist

Geduld – Fortschritt braucht Zeit. Der Weg ist das Ziel

Inhalt

  1. Zitat: Joyce Meyer
  2. Geduld: Fortschritt braucht Zeit. Der Weg ist das Ziel
  3. Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos oder Geduld jenseits des Erfolgs

  4. Kinder-Geschichte: Juri und der weiße Gürtel
  5. Meister Kanazawa: Biografie eines großen Meisters des Karate

In unserem Format „Karate & Geist“ widmen wir uns einmal im Monat besonderen Themen – Themen, die nicht nur im Karate, sondern auch im Alltag eine wichtige Rolle spielen. Es geht um Werte, innere Stärke, Haltung und persönliche Entwicklung – um Dinge, die uns wachsen lassen, im Dojo genauso wie im Leben.

Mit diesen Impulsen möchten wir dir kleine Denkanstöße geben, die dich auch zwischen den Trainingsstunden begleiten und inspirieren. Du findest hier philosophische Texte, praktische Tipps, Porträts großer Karate-Meister und noch viel mehr.

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Wir wünschen dir viel Freude beim Lesen und Entdecken!

Geduld ist nicht die Fähigkeit zu warten,
sondern die Fähigkeit, beim Warten ruhig zu bleiben.“

 

Joyce Meyer

US-amerikanische christliche Autorin und Predigerin,
geboren 1943 in St. Louis, Missouri

Foto: Joyce Meyer Ministries Nederlands, CC BY 3.0

Der Weg
ist das Ziel

Geduld – Fortschritt braucht Zeit. Der Weg ist das Ziel

In einer Zeit, in der alles schneller, effizienter und sofort verfügbar sein soll, ist Geduld zu einer seltenen Tugend geworden. Doch gerade im Karate – und im Leben allgemein – ist sie unerlässlich. Fortschritt entsteht nicht über Nacht. Er wächst langsam, still und oft unsichtbar – bis du eines Tages zurückblickst und erstaunt bist, wie weit du gekommen bist.

Warum Geduld so wichtig ist

Geduld hilft dir, Rückschläge gelassener zu nehmen, dich nicht ständig mit anderen zu vergleichen und den Fokus auf deinen eigenen Weg zu legen. Sie schützt dich davor, aufzugeben, wenn es schwierig wird. Im Karate siehst du Fortschritte oft nicht sofort – aber sie kommen, wenn du regelmäßig übst, aufmerksam bleibst und deinem Prozess vertraust.

Psychologische Hintergründe der Geduld

1. Geduld als Selbstregulation
Geduld bedeutet, Impulse zu kontrollieren. Unser Gehirn – insbesondere der präfrontale Kortex – ist dafür zuständig, kurzfristige Wünsche zu regulieren und langfristige Ziele im Blick zu behalten. Wer regelmäßig übt, geduldig zu bleiben, trainiert genau diese Hirnregion – ähnlich wie einen Muskel.

2. Geduld reduziert Stress
Ungeduld erzeugt innere Unruhe, Frust und erhöht den Cortisolspiegel. Geduld dagegen wirkt wie ein emotionaler Puffer: Sie hilft dir, gelassener mit Verzögerungen, Misserfolgen oder Unklarheiten umzugehen. Du bleibst zentrierter, ruhiger und klarer im Denken.

3. Geduld stärkt das Selbstvertrauen
Wenn du lernst, schwierige Phasen durchzustehen, wächst dein Vertrauen in dich selbst. Du erkennst: „Ich kann mit Unsicherheit umgehen. Ich halte durch.“ Das hat direkte Auswirkungen auf deine Resilienz – also deine psychische Widerstandskraft.

Praktische Tipps zur Stärkung der Geduld

  • Bewusstes Warten üben: Nutze Wartezeiten (z. B. an der Kasse) bewusst als Mini-Achtsamkeitsübungen statt zum Handy zu greifen. Spüre deinen Atem, nimm deine Umgebung wahr.

  • Langsame Tätigkeiten pflegen: Gärtnern, Kochen, Handwerk oder Kalligrafie – all das trainiert Geduld durch Wiederholung, Rhythmus und Ruhe.

  • Visualisierung: Stelle dir vor, wie du eine herausfordernde Situation ruhig und geduldig meisterst. Dein Gehirn speichert solche Bilder als echte Erfahrung ab.

Die Japaner sagen: „Geduld ist die Kunst, nur langsam wütend zu werden.“

Fazit

Du musst nicht perfekt sein. Du musst nicht schneller sein als andere. Du musst nur dranbleiben – mit Geduld, Vertrauen und einem offenen Blick für das Leben. Jeder Schritt zählt. Und genau darin liegt die wahre Stärke.

Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos oder Geduld jenseits des Erfolgs

Worum geht es im Mythos?

Sisyphos wurde in der griechischen Mythologie dafür bestraft, einen Felsblock ewig einen Berg hinaufzurollen – nur damit er kurz vor dem Gipfel immer wieder hinabrollt. Eine scheinbar sinnlose, ewige Mühe ohne Erfolg.

Moderne Deutung – durch Albert Camus

Der französische Philosoph Albert Camus („Der Mythos des Sisyphos“, 1942) interpretiert die Geschichte existenzialistisch:
Sisyphos akzeptiert sein Schicksal – und wird dadurch frei. Er verleiht seinem Tun selbst Bedeutung, obwohl es von außen sinnlos erscheint.

Camus schreibt:


„Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

In dieser Lesart wird Sisyphos zu einem Symbol für Geduld, Akzeptanz und inneren Widerstand. Er gibt nicht auf. Er kämpft nicht gegen das Unvermeidliche, sondern lebt bewusst im Moment.

Fazit

Sisyphos ist kein klassisches Vorbild für Geduld im Sinne von „Warten auf Fortschritt“. Aber: Er verkörpert die tiefe Form von Geduld, die mit Akzeptanz, Ausdauer und innerer Stärke zu tun hat.

Der Mythos von Sisyphos wirkt auf den ersten Blick wie eine grausame Strafe: ein Mensch, der einen Stein ewig bergauf wälzt, nur damit er immer wieder zurückrollt. Sinnlos, endlos, frustrierend.

Doch wenn wir einen Moment innehalten, eröffnet sich eine tiefere Sicht: Sisyphos kämpft nicht gegen sein Schicksal – er akzeptiert es. Er ist geduldig, nicht weil er auf eine Belohnung hofft, sondern weil er den Moment selbst annimmt. Er lässt sich nicht brechen. In der Interpretation des Philosophen Albert Camus wird Sisyphos zum Symbol des bewussten Lebens:

„Der Kampf gegen Gipfel genügt, um ein Menschenherz auszufüllen.“

Geduld bedeutet nicht immer, auf den Erfolg zu warten. Manchmal heißt sie, weiterzugehen, auch wenn der Stein immer wieder rollt – mit Würde, Bewusstsein und innerer Stärke.

Buchtip: Der Mythos des Sisyphos, von Albert Camus

Wer war Albert Camus?

Albert Camus (1913–1960) war Schriftsteller, Philosoph und Literaturnobelpreisträger. Seine Werke kreisen um die Themen Absurdität, Freiheit, Widerstand und Sinnsuche im Angesicht der Sinnlosigkeit

Bedeutende Werke:

  • Der Mythos des Sisyphos (1942)
  • Die Pest (1947)
  • Der Fremde (1942)
  • Der Mensch in der Revolte (1951)

 

Bedeutende Zitate von Camus:

  • „Inmitten des Winters entdeckte ich endlich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt.“
    (Aus „Rückkehr nach Tipasa“, 1952)

  • „Freiheit ist nichts wert, wenn sie nicht das Recht einschließt, anderen zu widersprechen.“

  • „Der Mensch ist das einzige Wesen, das sich weigert, das zu sein, was es ist.“

  • „Wirklich frei ist nur, wer die Absurdität des Lebens erkennt und trotzdem weitermacht.“ (sinngemäß aus „Der Mythos des Sisyphos“)

Albert Camus und Karate – Die innere Haltung des Übenden

Auf den ersten Blick scheint zwischen den Schriften des französischen Philosophen Albert Camus und der japanischen Kampfkunst Karate kaum eine Verbindung zu bestehen. Doch wer tiefer blickt, erkennt erstaunliche Parallelen in der inneren Haltung, die beide Wege fordern: Geduld, Selbstüberwindung, Handeln trotz Unsicherheit – und das bewusste Gehen eines Weges, der nie zu Ende ist.

In seinem Werk „Der Mythos des Sisyphos“ beschreibt Camus die Figur des Sisyphos, der zur ewigen Aufgabe verdammt ist, einen Felsblock einen Berg hinaufzurollen – nur damit er immer wieder hinabstürzt. Doch Camus stellt nicht das Scheitern in den Mittelpunkt, sondern die bewusste Entscheidung, weiterzumachen – ohne Illusionen, aber mit Würde. Sisyphos steht für den Menschen, der das Absurde akzeptiert und gerade darin frei wird.

Diese Haltung spiegelt sich im Karate wider. Der Karateka weiß: Wahre Meisterschaft kommt nicht über Nacht. Sie entsteht durch stetiges Üben, durch das Akzeptieren von Rückschlägen, durch das ständige Wiederholen scheinbar einfacher Techniken. Es ist ein Weg ohne Abkürzungen – manchmal monoton, manchmal herausfordernd. Doch gerade darin liegt seine Kraft.

Karate lehrt, im Moment zu leben und sich mit voller Aufmerksamkeit dem Prozess zu widmen. Nicht der schwarze Gürtel, nicht die Medaille zählen – sondern der Weg selbst. Genau wie Camus schreibt:

„Der Kampf gegen Gipfel genügt, um ein Menschenherz auszufüllen.“

Auch in seinem Roman „Die Pest“ betont Camus das Handeln aus Verantwortung – nicht aus Hoffnung auf Erfolg, sondern weil es richtig ist. Diese Ethik findet sich auch im Karate wieder: Im respektvollen Umgang miteinander, im Schutz der Schwächeren, im Üben von Selbstbeherrschung und Klarheit – auch wenn niemand zusieht.

Der Philosoph Camus lehrte keine Karate-Technik, kannte kein Dojo und keine Kata. Aber er bietet eine Philosophie, die sich wunderbar mit dem Geist des Karate verbindet: Übe, handle, bleibe aufrichtig – auch wenn der Berg hoch und der Weg steinig ist.

Kinder-Geschichte: Juri und der weiße Gürtel

Juri war sieben Jahre alt und ging seit ein paar Wochen ins Karate. Sie liebte es, barfuß auf der Matte zu stehen, den Gi (so heißt der Karateanzug) anzuziehen und laut „KIAI!“ zu rufen. Doch es gab etwas, das Juri ganz und gar nicht mochte: dass sie noch immer den weißen Gürtel trug.

„Wann bekomme ich endlich den gelben?“, fragte sie nach jedem Training.

Sensei Kenji, ihr Lehrer, lächelte nur und sagte: „Wenn du bereit bist – nicht früher und nicht später.“

Juri seufzte. Sie übte fleißig. Sie konnte den Zuki (Fauststoß) schon ziemlich gut, und ihr Mae-Geri (Fußtritt nach vorne) wurde von Mal zu Mal stärker. Aber die Gürtelprüfung ließ auf sich warten.

Eines Tages kam sie genervt nach Hause.
„Mama, das dauert alles ewig! Ich will doch nur den gelben Gürtel!“

Da setzte sich Mama zu ihr auf den Teppich und sagte:
„Weißt du, Geduld ist wie ein kleiner Baum. Du gießt ihn, du wartest, du siehst… erst mal nichts. Aber unter der Erde passiert ganz viel. Die Wurzeln wachsen. Und irgendwann – plopp – kommt der erste grüne Trieb. Du siehst ihn erst, wenn du lange genug gewartet hast.“

Juri überlegte. Vielleicht war ihr Karate auch so ein kleiner Baum?

Beim nächsten Training konzentrierte sie sich nicht auf den Gürtel, sondern auf ihren Stand, ihren Atem und auf jedes einzelne Detail. Sie vergaß fast, dass sie noch den weißen Gürtel trug.

Und dann – Wochen später – am Ende des Trainings, rief Sensei Kenji sie nach vorne.
Er holte einen neuen Gürtel aus seiner Tasche.
„Juri, du bist bereit.“

Juri staunte. Sie hatte es gar nicht bemerkt – aber ihr Karate war gewachsen. Ganz wie der kleine Baum in Mamas Geschichte.

Biografie von Hirokazu Kanazawa – Großmeister des Karate

Hirokazu Kanazawa (1931–2019) war einer der bedeutendsten Karate-Großmeister des 20. Jahrhunderts und weltweit bekannt für seinen tiefen Geist, seine technische Perfektion und seine menschliche Haltung. Er war Träger des 10. Dan im Shotokan-Karate und Gründer der Shotokan Karate-International Federation.

Frühe Jahre

Kanazawa wurde am 3. Mai 1931 in Iwate, Japan, geboren. Schon früh interessierte er sich für Kampfkünste und begann zunächst mit Judo. Während seines Studiums an der Takushoku-Universität entdeckte er das Karate – unter der Leitung legendärer Meister wie Masatoshi Nakayama und Gichin Funakoshi, dem Begründer des modernen Karate-Do.

Aufstieg und Erfolge

Er war einer der ersten, der im Rahmen der Japan Karate Association (JKA) ausgebildet wurde und international unterrichtete. 1957 gewann er den ersten JKA All Japan Karate Championship – mit gebrochener Hand! Ein Beweis für seine Willensstärke und seinen unerschütterlichen Geist.

Kanazawa wurde weltweit bekannt durch seine Fähigkeit, technische Präzision mit innerer Ruhe und Bescheidenheit zu verbinden. Er war nicht nur Kämpfer, sondern auch Lehrer und Philosoph.

Philosophie

Kanazawa verband Karate stets mit einem tiefen inneren Weg – beeinflusst durch Zen-Buddhismus, Tai Chi und die Prinzipien des Do (der Weg). Er betonte:

„Karate beginnt und endet mit Respekt.“ und „Technik ohne Geist ist leer.“

Kanazawa lehrte, dass wahre Stärke aus Kontrolle, Klarheit und Mitgefühl kommt – nicht aus Härte oder Gewalt.

Veröffentlichungen

Kanazawa schrieb mehrere Bücher, darunter:

  • „Karate – My Life“ (Autobiografie)

  • „Shotokan Karate – Perfecting Kumite“

  • „Kata – The Essence of Karate“

Diese Werke sind heute Standardlektüre für viele Karateka weltweit.

Vermächtnis

Hirokazu Kanazawa starb am 8. Dezember 2019 im Alter von 88 Jahren. Er hinterließ eine weltweite Karatefamilie und ein Vermächtnis der Geduld, Demut, Disziplin und Menschlichkeit.

Meine Begegnung
mit Meister Kanazawa –
und das vergessene Buch

Eine persönliche Erinnerung an Kanazawa Sensei

In jungen Jahren hatte ich das große Glück, Kanazawa Sensei persönlich kennenzulernen. Es war auf einem Karate-Lehrgang in Vorarlberg – einem besonderen Moment meiner Entwicklung als Karateka. Ich hatte gerade den blauen Gürtel bestanden und war voller Begeisterung und Neugier von Oberösterreich ins westlichste Bundesland Österreichs gereist. Die Motivation dazu kam von meinem damaligen Lehrer, Sensei Kawasoe – ein direkter Schüler Kanazawas und selbst ein beeindruckender Karate-Meister.

Der Lehrgang war intensiv, lehrreich und zutiefst inspirierend. Kanazawa Sensei beeindruckte nicht nur durch seine technische Perfektion, sondern auch durch seine Ausstrahlung, seine Würde und seine Bescheidenheit. Trotz seines Alters demonstrierte er viele Techniken selbst, zeigte Kata mit großer Präzision und vermittelte seine tiefe Einsicht in das Wesen des Karate auf eindrucksvolle Weise – besonders im Zusammenspiel mit seinen Schülern.

In einer Pause nahm ich all meinen Mut zusammen und bat ihn, meine beiden Bücher Shotokan Kata Vol. 1 und 2 zu signieren. Kanazawa tat dies mit großer Freundlichkeit. Seine Unterschrift war nicht einfach ein Namenszug – sie war kunstvoll gestaltet, mit einer stilisierten Darstellung des Fuji-san, des heiligen Berges Japans. Ein Symbol für Standhaftigkeit, Ruhe und Kraft.

Doch auf meiner Heimreise geschah mir ein Missgeschick: Im Zug ließ ich einen der beiden Bände liegen. Trotz intensiver Bemühungen und Kontaktaufnahme mit der ÖBB blieb das Buch unauffindbar. Der materielle Verlust war verkraftbar – doch der emotionale Wert war unersetzlich.

Diese Erfahrung lehrte mich etwas Wichtiges: Unachtsamkeit kann Folgen haben, die lange nachwirken. Selbst kleine Fehler können schmerzen, wenn sie mit besonderen Momenten verbunden sind. Und dennoch: Die Erinnerung an diesen Lehrgang, an die Begegnung mit Kanazawa Sensei und an das, was er durch seine Präsenz vermittelte, ist bis heute lebendig – und vielleicht sogar wertvoller als das verlorene Buch selbst.

Kanazawa Sensei hat mir nicht nur Techniken gezeigt – er hat mir eine Haltung vermittelt, die mich als Mensch geprägt hat: Achtsamkeit, Disziplin, Respekt und den Willen, aus Fehlern zu lernen. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.